Roerich Gesellschaft Deutschland e.V.

 
 

Die Ethik des Aristoteles 1

von Dieter Miosge

  

I )Vorbemerkungen:

Die Ethik behandelt die Frage nach dem sittlich Guten, den Werten, nach dem, wie sich die Menschen anderen und sich selbst gegenüber verhalten sollen und aus welcher inneren Einstellung (Gesinnung) das geschehen möge.

Das mehrdeutige Wort Moral bezieht sich auf die Werte, die in einer bestimmten menschlichen Gemeinschaft herrschen oder herrschen sollen.

Man kann also sagen: Dem einen Thema Ethik steht eine Vielheit unterschiedlicher Moralen gegenüber.

Die wichtigste Unterscheidung innerhalb der Ethik ist:

formale = nicht inhaltlich bestimmte Ethik (Kant)

materiale =inhaltlich, nach einzelnen Werten bestimmte Ethik (Aristoteles)


Der wichtigste Erfinder der formalen Ethik ist der größte deutsche Philosoph Immanuel Kant aus Königsberg (1724 –1804) mit seinem kategorischen Imperativ = unbedingt geltender Handlungsanweisung: „Handle so, daß du jederzeit wollen kannst, die Maxime (=Leitvor-stellung) deines Handelns solle allgemeines Gesetz werden“. (Das ist eine von mehreren ähnlich lautenden Formulierungen Kants). Grob vereinfacht besagt das: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“. Ein Beispiel : Die Lüge, zum Gesetz erhoben, würde jegliches Vertrauen unter den Menschen abschaffen und auch auf den Lügner zurückfallen.


Die berühmteste materiale Ethik ist die Tugendlehre des neben Platon größten Philosophen der Antike und der Philosophie überhaupt, des Aristoteles ( 384 –322 v. Chr.).

Aristoteles, der geistig das ganze Mittelalter beherrscht hat als „Meister aller, die da wissen“ war der Sohn des Leibarztes des Königs Amyntas von Makedonien, dem Großvater von Alexander dem Großen, und stammte aus Stageira auf der Halbinsel Chalkidike (das ist die, die sich nach Südosten hin wie drei Finger in die Ägäis erstreckt). Vor einigen zehn Jahren hätte man noch sagen können, dieser als einer der bedeutendsten Philosophen der griechisch-europäischen Geistesgeschichte stamme aus Jugoslawien.

Die wichtigsten Lebensdaten:

  • Mit 17 oder 18 Jahren geht er nach Athen in Platos Akademie und bleibt dort 20 Jahre, bis zum Tode des 43 Jahre älteren Platon im Jahre 347, der während dieser Zeit die drei Reisen nach Sizilien unternommen hatte.

  • Aristoteles geht nach Atarneus in Kleinasien zu dem befreundeten Herrscher Hermeias, nach dessen Ermordung in persischer Gefangenschaft zusammen mit dessen Schwester oder Nichte Pythias, die er heiratet, nach Lesbos. Hier Zusammenarbeit mit seinem bedeutendsten Schüler Theophrast, dem Botaniker.

  • 343 wird er als Erzieher des 13jährigen Alexander an den makedonischen Hof gerufen. Er hat wohl dem stürmischen Jungen nicht sehr viel Philosophie beigebracht, wohl aber die Odyssee und die Ilias des Homer.

  • Nachdem Alexander, etwa 20 Jahre alt, König geworden war, kehrt Aristoteles 335/34 nach Athen zurück und lehrt im Konkurrenzunternehmen der Akademie, dem Lykeion (von daher der frühere Name Lyzeum für Mädchengymnasium), 12 Jahre lang.

  • 323, nach dem Tode Alexanders, wird Aristoteles, wohl von Alexandergegnern, wegen Asebi (Gottlosigkeit) angeklagt, wovon übrigens damals jeder griechische Philosoph bedroht war, und flieht nach Chalkis auf Euböa (die langgestreckte Insel östlich von Theben und Athen), wo er ein Jahr später starb.


Die Philosophie war für Aristoteles nur ein Teil seiner wissenschaftlichen Betätigung, die sich auf alle damaligen menschlichen Wissensgebiete erstreckte. So soll z.B. Alexander ein Gesetz erlassen haben, daß jeder, der etwas Neues aus der belebten oder unbelebten Natur fand, Tiere, Pflanzen, Steine, es dem Aristoteles zu bringen habe. Er hat ihn auch mit Geldmitteln zur Anschaffung von Büchern unterstützt.


II) Die Nikomachische Ethik


Die Ethik des Aristoteles ist in drei Schriften überliefert, von denen die wichtigste die Nikomachische Ethik ist (so benannt nach Aristoteles Sohn Nikomachos).

1) Es geht um die Tugenden der Menschen in ihrem Miteinander in den verschiedensten Lebenssituationen und im Verhältnis des Menschen zu sich selber.

Das sittlich gute Handeln, also die Ausübung der Tugenden, kommt zweifach zugute:

Denen, gegenüber denen gehandelt wird ( pros heteron ) und den gut Handelnden selbst.

Das gute Handeln hat einen letzten und höchsten Zweck (teleion), der nicht um eines anderen, sondern um seiner selbst willen begehrt wird. Als dieser kommt für Aristoteles nicht in Betracht:


  • Besitz äußerer Dinge, Reichtum, da dies anderen Zwecken dient.

  • sinnlicher Genuß, das sei etwas Tierisches,

  • Ehre, da sei man auf andere angewiesen, wie diese einen beurteilen.

Das höchste Gut ist die Glückseligkeit.

Von der Antike an über 2000 Jahre galt: Tugend führt zur Glückseligkeit.

Aber diese Übersetzung aus dem Griechischen ist schlecht.

  • Eudaimonia ist nicht Glückseligkeit. Eu =gut. (Beispiel.: Evangelium =ursprünglich Euangelion heißt die gute Botschaft). Daimonion war die innere Stimme, die dem Sokrates abriet: tue das und das nicht! Eudaimonia ist mit guter (glückhaft befriedeter) Seelenverfassung zu übersetzen.

  • Tugend ist griechisch areté, was aber auch allgemein Tüchtigkeit, Trefflichkeit bedeutet. In der neuesten deutschen Übersetzung der Nikomachischen Ethik von 2006 wird areté mit Gutheit übersetzt. Wichtig ist für Aristoteles, daß sich die Tugend oder Gutheit zu einer durch Gewohnheit und Lernen eingeübten Haltung (hexis) stabilisiert, damit es zu einer „Energie der Seele zur Erfüllung der Tugend“ kommt. ( Unser deut-sches Wort Energie =energeia ist eine Worterfindung des Aristoteles. Darin steckt ergon =das Werk, in Energie steckt also werken =wirken!). Aristoteles fährt fort (1098 a 16 f): „Hinzuzufügen ist noch: in einem vollen Menschenleben. Denn eine Schwalbe macht noch keinen Frühling und auch nicht ein Tag...“


Mit der Notwendigkeit, Tugenden durch Lernen und Gewohnheiten dauerhaft einzuüben, krit-siert Aristoteles den Sokrates. Diesen hat er nicht mehr kennengelernt, der ist 399 gestorben, ehe Aristoteles nach Athen kam. Er kritisiert damit aber zugleich seinen großen Lehrer Platon, weil ja alles Wichtige, was über Sokrates, der nichts aufgeschrieben hat, nur über Platon bekannt ist.

Tugend ist Wissen und deshalb lehrbar, hatte Sokrates gesagt. Für Sokrates bedeutet das Hinlenken auf die Sache durch die sokratische Maieutik =Hebammenkunst mit dem ange-strebten Ziel des Sich-Besinnens, der inneren Einkehr, bei Plato dann: Besinnen auf das in der Seele liegende Wissen (= Anamnesis), das heraufgeholt werden muß.

Diese Lehrbarkeit ist zwar etwas ganz anderes als bei den Sophisten. Diesen ging es um rhetorische Erfolge auf der politischen Bühne, nicht um Wahrheit, die sie sowieso leugneten, weil sie von der Subjektivität der Sinneswahrnehmungen und der Relativität der Erkenntnis ausgingen. Sie setzten die Sprache als Kampfmittel im Meinungsstreit ein, mit dem Ziel, durch niederwerfende Reden - beeindruckend und überrumpelnd - auch eine Sache mit schwachen Argumenten zur stärksten zu machen. Sokrates dagegen stellte die Wahrheits-suche, die er im Gespräch mit Ironie (eironeia ist die Verkleinerung)= Dummstellstrategie verfolgte, über den Erfolg.

Aristoteles hat die sokratische These von der Lehrbarkeit des Tugendwissens zutreffend, wie wir heute sagen, als intellektualistisch gescholten, sofern der, der wisse, was gut ist, nicht das Böse wollen könne, böse werde nur aus Unwissenheit gehandelt. Dem hält Aristoteles in der Nikomachischen Ethik entgegen (VI 13, 1144 b 18-21, 25-30):

Indem Sokrates meinte, alle Tugenden (aretas) seien gleich sittlicher Einsichten (phroneseis), irrte er, daß sie aber nicht ohne Einsicht seien, war richtig.

Tugend (areté) ist nicht nur die Disposition (hexis), die der richtigen Einsicht folgt (kata ton orthos logos), sondern die, welche mit diesem Logos verbunden ist ( meta ton orthon logon)...Sokrates meinte, alle Tugenden seien logous (= Überlegungen, rationale Planungen, Vernunftbetätigungen), - denn Wissenschaften (epistemas) seien sie alle- , wir aber meinen, die Tugenden seien nur mit Vernunft verbunden (meta logou).


Also: Sittliche Einsicht garantiert nicht moralisches Handeln, aber moralisches Handeln setzt sittliche Einsicht voraus. Darauf ist zurückzukommen.


2) Das Gute kann nicht ein bestimmtes Eines sein, wie bei Plato, von dem allerdings die vier Kardinaltugenden (= Haupttugenden; an der die anderen wie an der Türangel = cardo aufgehängt sind) stammen: Weisheit, Tapferkeit, Selbstbeherrschung und Gerechtigkeit.

Vielmehr gibt es viele Tugenden. Wie sind diese beschaffen?

Antwort gibt die Lehre des Aristoteles von der Mesotés= Mitte, mittlere Position, genauer zu übersetzen mit: Die gute Mitte oberhalb der schlechten Extreme. 2 Das ist zu erläutern.

Die einzelnen Tugenden stehen immer in der Mitte zwischen zwei schlechten Extremen, das eine Extrem ist ein „Zuviel“, ein Übermaß( hyperbolé), das andere ein „Zuwenig“, ein Mangel (elleipsis).

Beispiele :

  • Tapferkeit steht in der Mitte zwischen dem Zuviel der Tollkühnheit und dem Zu- wenig der Feigheit.

  • Freigebigkeit steht in der Mitte zwischen Verschwendung und Geiz.

Man hat den Aristoteles gescholten und lächerlich machen wollen, weil er die hohen Güter der Tugend mit der Mesotes auf ein Mittelmaß, einen Mittelweg herabgezogen habe. Aber das kann Aristoteles nicht vorgeworfen werden. Denn die gute Mitte steht oberhalb der schlechten Extreme. Er hat es selber ausgesprochen: Die Mitte betrifft das Sein, d.h. das Vorhandensein der Tugenden auf einer Ebene zusammen mit den schlechten Extremen, die im menschlichen Leben vorkommen, aber „nach dem Gesichtspunkt des Besten und des Guten überhaupt ist sie ein Höhepunkt“, II 6. 1107 a, 5-8.

Das läßt sich in dem folgenden Schaubild verdeutlichen


mesothés

Tugend=areté

Zuviel Zuwenig

kakia kakia


 


Die Extreme sind kakiai = Schlechtigkeiten. Daher stammt wohl das heute ungebräuchliche deutsche Wort Kacke.

3) Wie ist Aristoteles auf die verschiedenen Mesotés gekommen und wie kommt die Entscheidung für die Mesotés in der jeweiligen Lebenssituation zustande?

Aristoteles ist empirisch, d.h. nach der Erfahrung, vorgegangen. Er kannte Menschen und sah zusätzlich Bühnenfiguren, die sich im Sinne der schlechten Extreme verhielten und andere, deren Verhalten ihm gefiel.. So kam er auf die Mesotés. Das entsprach auch seinem Naturell und seiner Geistesart. Er war ein Mann des Ausgleichs und der Mitte.

Aber: „gutes Handeln ...gibt es nicht ohne Denken (dianoia = unterscheidendes Auffassen) und Charakterfestigkeit (ethous)“, Eth.Nic VI, 1139 a 34f. Hier ist an das oben Gesagte anzuknüpfen.

Dazu ein Rückblick auf die drei Seelenvermögen, die Platon in seinem berühmten Bild vom Seelengespann im <Phaidros> dargestellt hat.

Die Seele gleicht einem von zwei geflügelten Rossen gezogenen Wagen und seinem Lenker. Der Wagenlenker verkörpert das Logistikon, das Streben nach wahrer Erkenntnis, dem das schlanke, helle Roß , mit dem Mut= Thymos dazu begabt, gern folgt, während das schwarze und störrische Roß mit seiner Seelenverfassung der Epithymia= der triebhafen Begehrlichkeit, sich dem widersetzt und die Flügen verliert.

Mit einem anderen Bilde von Platon: Der Kopf ist Sitz der Erkenntnisfähigkeit, das Herz der Sitz des Mutes, der Bauch der Sitz der Begehrlichkeit.

Aus diesem Gleichnis kann gefolgert werden: Körperlich-seelischer Antrieb und lenkende Geistigkeit (phronesis) müssen zusammenkommen. Von den beiden Pferden ist zwar nur eins das schlechte Pferd, das andere garantiert den Antrieb. Aber die gute Mitte, die Mesotés, kann als das Ergebnis lenkender Geistestätigkeit bezeichnet werden.

Dem entspricht die aristotelische Zweiteilung der Seele (statt der platonischen Dreiteilung) in der Nikomachischen Ethik (I 13, 1102 a, 28ff.) in alogos =vernunftlos und ebenfalls vernunft-los, aber doch irgendwie vernunftteilhaftig.

  • Die Vitalseele, der vernunftlose Teil ist vegetativ (phytikon) und durch Ernährung (threptikon), Zeugung und Wachstum gekennzeichnet.

  • Der zweite Teil ist das Begehrungs- und Strebevermögen (epithymetikon und orektikon). Dieses entspricht den zwei Rossen Platons insofern, als es zu ambivalenten d.h. zu entgegengesetzten Antrieben (hormé) geeignet ist.
    So kann sich das Begehren vernünftiger Einsicht zugunsten triebhafter Begierde widersetzen wie Platos schlechtes Pferd. Das Streben kann aber kraft besserer Einsicht an der Vernunft teilhaben, z.B. durch Ermahnung und Gehorchen, so wenn dem Rat des Vaters oder der Freunde gefolgt wird.


In seiner Schrift Über die Seele ( de anima) werden diese beiden Schichten überbaut durch die geistige Schicht (nous), die Platos Logistikon entspricht. Dazu ein Schaubild im Anhang.


4) Liste der Tugenden:

Um den ganzen Reichtum der Lebenserfahrung und der Menschenkenntnis des Aristoteles und seine Aktualität auch noch heute aufzuzeigen, seien die Beispiele, von denen im Abschnitt 2) bisher nur zwei aufgezeigt worden sind, mit einigen weiteren fortgesetzt. Zugleich wird das Lebensgebiet bzw. die Lebenssituation angegeben, in denen tugendhaftes Handeln in Frage kommt und erwartet wird.




Lebenssituation


Zuviel


Gute Mitte


Zuwenig


Gefahrenlage

Tollkühnheit

 

Tapferkeit

 

Feigheit

Geldausgeben

Verschwendung

Freigebigkeit

Geiz

Lust oder Unlust

Hemmungslosigkeit

Besonnenes Maßhalten

Gefühllosigkeit

Geld im Großen

Protzerei

Großzügigkeit

Kleinlichkeit

Ehre und Unehre

Eitelkeit

 

Gutes Selbstbewußtsein

 

Kleinmütigkeit

Zorn

Jähzorn

Geduldige Zurückhaltung

Unfähigk, sich aufzuregen






Obwohl die Mesotés immer die gute Mitte ist, ist sie nicht für alle das Gleiche. Es kommt auf die Einzelfälle an (kath hekasta), II, 9, 1109 b,23. So kann besonders durchtrainierte Körper-beherrschung dazu führen, eine Tapferkeit zu begehen, die für andere tollkühn wäre. Ebenso kann für einen eine Geldgabe freigebig sein, für einen anderen Ausdruck von Großspurigkeit oder Geiz.


Es ist reizvoll, unter dem Gesichtspunkt der Mesotés aktuelle Fragen zu erörtern. So kann man in puncto Kindererziehung etwa sagen: das Zuviel ist die völlige Freiheit für Kinder, das Zuwenig absolute Strenge und Gehorsam, die gute Mitte ist eine Mischung von liebevoller und konsequenter Erziehung.


5) Nun verlassen wir das Gebiet der ethischen Tugenden, also das praktische Feld der Ethik und kommen zu den dianoetischen Tugenden, den geistigen oder Vernunfttugenden. Es sind deren fünf:

  • techné = Sachkunde im Besorgen, Hantieren und Herstellen

  • phronesis= Besonnenheit, Einsicht,

  • epistemé = wissenschaftliches Erkennen

  • sophia = Weisheit.

  • nous = intuitives Denken

Diese sind aletheuei, d.h. Aufdeckungsweisen der Wahrheit. Bei diesen geht es um höchste philosophische Erkenntnis. Er stellt sie noch über die ethischen Tugenden. Denn die höchste und die Seele am meisten erfüllende Tugend ist die Theoria, die geistige Betrachtung und Schau.

6) Ebenfalls außerhalb von der Mesotéstheorie behandelt Aristoteles die Gerechtigkeit und unterscheidet ausgleichende und austeilende Gerechtigkeit.

Die ausgleichende bezieht sich z.B. auf die Gleichheit von Ware und Geld in Vertragsge-schäften, auf den Ausgleich von Schäden usw. Sieht man, wie früher, in der Strafe nur die Vergeltung für die begangene Tat, so ist auch die Strafe ein Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit.

Die austeilende Gerechtigkeit bezieht sich auf die Zuteilung von Rechten und Pflichten je nach Befähigung oder Bedürftigkeit, etwa nach dem Motto: Jedem das ihm Zustehende.


Das 8. und 9. Buch der Nikomachischen Ethik handelt von der Freundschaft, die Aristoteles als das Ideal aller menschlichen Gemeinschaft schildert.


7) Der Mensch als zoon politikon.

Die wohl bekannteste Formulierung des Aristoteles lautet: Der Mensch ist ein zoon politikon= das der Gemeinschaft bedürftige oder sozial veranlagte Lebewesen, und zwar physei, d.h. von Natur aus.

Die Gemeinschaften sind Ehe, Familie, Gemeinde, letztlich Staat= polis, als andere Gemeinschaften umfassende Einheit mit dem Zweck, im umfassendsten Sinne für die eudaimonia zu sorgen. Im Unterschied zu Platos Idealstaat als einer Zwangsanstalt, in der Menschen durch Erziehung zu ihrem Glück gezwungen werden sollten, ist der Staat des Aristoteles dann der beste, wenn sich die Tugenden am besten entfalten können. Es soll eine Gemeinschaft von Freien sein, das sind die, die der Theoria, der Betrachtung fähig sind.

Sklaven sollten zwar gut behandelt werden, waren aber auch für Aristoteles von Natur aus unfrei.

Aristoteles hat auch verschiedene Staatsformen erforscht, 158 an der Zahl! Er kommt zu drei positiven und drei negativen Staatsgrundformen:

Die positiven sind:

  • Königtum, in dem einer herrscht,

  • Aristokratie, in der mehrere der Besten herrschen

  • Volksstaat =Demokratie, wenn alle herrschen,

unter der Voraussetzung, daß der Staat eine Gemeinschaft freier Leute bleibt.

Die entsprechenden negativen sind:

  • Tyrannis, im Interesse eines Einzelnen

  • Oligarchie, im Sinne der Kapitalisten

  • Massenherrschaft, im Sinne der Besitzlosen.


8.) Anhang:


Die Seelenteile bei Platon und Aristoteles



Platon

Logistikon


Thymos = Mut, Eifer



Epithymia= triebhafte, unvernünftige Begierde

Nik. Ethik

-


Streben= oretikon

Begierde= epithymikon


Vitalseele:

Ernährung, Zeugung, Wachstum


Über die Seele

Nous= geistige Schicht


Wahrnehmung und Streben aisthesis kai oretikon


Vitalseele:= Treptiké, genna, phylé



Bedeutsam ist die Ambivalenz der zweiten Schicht bei Aristoteles: das Streben kann nach oben zur Vernünftigkeit gezogen werden, es wird dann Wille (boulésis), oder nach unten als Begierde zur eigensüchtigen triebhaften Begehrlichkeit.


1 Der Text ist im Jahre 2009 für eine 16jährige Schülerin geschrieben. Die bisweilen betulichen Passagen sind beibehalten.


2 Nicolai Hartmann , Ethik, 1926, 48. Kap. a; ders. Die Wertdimensionen der Nikomachischen Ethik, Kleinere Schriften II, S. 191 ff.